Es macht Freude mit Menschen zu arbeiten, die ihren Körper schätzen und pflegen wollen. Nun passiert es nicht selten, dass gerade auch Menschen, die viel Sport treiben unter verschiedenen Beschwerden leiden. Dies betrifft ebenfalls körperlich arbeitende Menschen, insbesondere wenn sie oft die gleichen Bewegungen ausführen, schwer tragen oder wenn es zu einseitigen Belastungen kommt. Bekannte Beispiele sind Kniebeschwerden bei FliesenlegerInnen oder schmerzende Fußgelenke bei BallettänzerInnen. Verbreitet auch sind Sehnen- und Augenprobleme bei MarathonläuferInnen .
Wir finden hierfür in der Chinesischen Medizin (CM) das interessante Phänomen der „Blutstase durch Verausgabung“: Das Blut stagniert aufgrund einer Überbelastung oder auch bei zu wenig ausgleichender Bewegung in Kombination mit Ruhephasen. Meistens geht dieses Syndrom einher mit einem Qi-/ oder-Blutmangel (1).
In der CM heißt es: „Das Blut folgt dem Qi, das Qi wird von dem Blut genährt“. Qi ist der Yang-Aspekt der Energie, Blut ist der Yin-Aspekt. Nur beide zusammen halten stark und gesund. Wenn wir unser Qi verausgaben und nicht Ruhepausen einnehmen und das Blut nähren, erschöpfen wir leider beide: Qi und Blut.
Eine äußerlich kaum diagnostizierbare Blutstase beginnt, wenn es zu einer verminderten Zirkulation im Intrazellularraum kommt, da die physiologischen Austauschprozesse auf der zellulären Ebene stattfinden. Sobald das Blut seine Viskosizität einbüßt, kommt es zu Defiziten bei der Versorung und beim Abtransport von ausscheidungspflichtigen Stoffen. Das Blut im Sinne der CM transportiert nicht nur Nährstoffe, sondern auch Wärme, es enthält auch den sogenannten „Spirit“. Die schlecht versorgten Stellen im Körper bekommen demzufolge zu wenig Beachtung und ich denke, es gilt auch vice versa: Durch Beachtung , beispielsweise Beatmung können wir wieder Qi in ebensolche Gegenden schicken und dann folgt auch das Blut.
Manaka hat ein System des Erkennens und Einordnens der Blutstase entwickelt, das auf diese zellulären Prozesse bereits einen Blick wirft. Je früher wir die Zeichen einer beginnenden Blutstase zu erkennen lernen, desto größere Chancen bestehen, diese zu lösen. So deuten schon saisonal erscheinende Spider Naevi, Pickel im Rippenbereich und auf den Wangen neben den Nasenflügeln auf das erste Stadium einer Blutstase hin. Begleitend können leichte Schmerzen im Bewegungsapparat auftreten (2).
Der Körper kann sich auf einen schweren Mangelzustand zubewegen. Zeichen einer Blutstase nach CM können lokalisierte, stechende Schmerzen, Schwellungen und Verhärtungen, Blutungsstörungen, auch Hautzeichen wie Warzen und Leberflecke sein.
Anzeichen einer „Blutstase durch Verausgabung“ können neben der Erschöpfung, Sehnen – und Bänderbeschwerden, Schmerzen im Bewegungsapparat, aber auch Unruhe und Schlafstörungen sein. Die Sicht kann sich auch verschlechtert haben. Die Menstruationsblutung wird spärlicher, die Ausdauer bei der körperlichen Liebe nimmt ab. Wir laufen auf Sparflamme, rennen alten Zeiten hinterher.
Die CM kann mit ihren Säulen der Gesunderhaltung zur Seite stehen: eine entsprechende Ernährung, blutaufbauende und auch -bewegende Kräuter, Akupunktur mit Moxa und eine Änderung der Haltung.
Ernährung
Der Körper ist geschwächt und somit auch die Verdauungsfunktionen: Es bedarf leicht bekömmlicher Nahrung, also am liebsten schon auf 37 Grad angewärmtes Essen und wenig Rohkost, am bestens in Form frischer Kräuter – gerne Petersilie (s.u.). Gerne häufigere und kleinere Mahlzeiten und das Abendessen nicht spät einnehmen. Morgens ein Hirsebrei (gerne auch salzig) oder eine warme Suppe wirken Wunder, da sie die Mitte stärken.
Es gibt Nahrungsmittel, die als blutbewegend gelten: Petersilienwurzel (s.u.), Aubergine, Lauch, Schalotten, Curkuma, Adukibohnen und Basilikum.
Damit die Verdauungsenergie nicht unnötig herausgefordert wird, reduzieren Sie den Genuss von Käse, Chips, fettigem Essen, rotem Fleisch, Eiern und Eiscreme. Scharfes Essen wirkt zwar bewegend, verletzt aber das Blut und ist somit bei dieser Form der Blutstase kontrainduziert.
Bei allen Formen der Stagnation gilt freilich: Was unser Herz erfreut, lässt alles besser fließen. Also wieder keine neuen strikten Vorschriften, sondern nehmen Sie alles als Empfehlungen.
Auch liebgewonnene Musik, erfreuliche Gesellschaft ebenso wie warme Füße (!) stärken die Verdauungsfunktionen der Milz. Essen in Hektik oder mit Streit verknoten unsere Energien und ziehen oft Blähungen und Druckgefühle nach sich. Etwas Bewegung vor dem Essen steigert den Appetit.
Phytotherapie
Auch westliche Kräuter stehen uns zum Lösen der Blutstase zur Vefügung. Am bekanntesten ist wahrscheinlich die Arnika, auch homöopatisch das erste Mittel der Wahl bei akuten Trauma (geschlossene Wunden!). Auch Johanniskraut, Engelwurz, Rhabarberwurzel und Majoran haben blutbewegende Eigenschaften.
Für die Blutstase durch Verausgabung eignet sich besonders auch die Weinraute (3).
Vorstellen möchte ich hier das Rosmarin und die Petersilienwurzel. Alle drei Pflanzen sind leicht blutbewegend und -aufbauend.
Rosmarin (Rosmarinus officinalis) erinnert nicht nur an einen duftenden Sommer am Mittelmeer, er birgt diese Qualitäten auch tief in sich: Er ist erwärmend und anregend auf die Energien von Herz, Milz und Leber.
Wenn sich der Körper träge, müde, verschleimt und kalt anfühlt, kann Rosmarin Lebenskräfte wecken. Er unterstützt so auch die Psyche beim Wiederauftanken nach anstrengenden und leidvollen Zeiten. Rosmarin kann die Batterie von Menschen, die sich stark engagiert haben und sich nun erschöpft und ausgebrannt fühlen, wieder auffüllen. Dabei ist darauf zu achten, dass es mehrere Formen der Erschöpfung gibt: Menschen, die gleichzeitig zu innerer Unruhe, Schlaflosigkeit und Ängsten neigen, haben auch eine Schwäche im Yin und brauchen weniger Yang-haltige Pflanzen (zum Beispiel Brennnessel, Weißdorn). Wenn man aber morgens schon nicht aus dem Bett kommt und im Laufe des Tages durchgehend antriebslos bleibt, dann ist der Rosmarin die Pflanze der Wahl.
Er wirkt dabei aufmunternd und stärkt das Selbstbewusstsein. Durch seinen Bezug zum Herzen steigert er die Fähigkeit, Gefühle wieder auszudrücken und das Herz zu öffnen: Wir kommen wieder mehr bei uns und unseren Bedürfnissen an. Durch seinen Bezug zur Wandlungsphase Erde ist er prädestiniert zur Unterstützung bei Magersucht. Passenderweise galt Rosmarin auch in früheren Zeiten schon als Symbol der Kontinuität des Lebens: Rosmarin wurde als Fruchtbarkeitsmittel ebenso verwendet wie als Grabbeigabe. Als Schutz vor der Pest wurde mit ihm und Wacholderbeeren geräuchert.
Sein Duft und Aroma räumt ihm auch heute noch einen ehrenwerten Platz in der Küche ein: Steigert er doch sowohl den Appetit als auch die reibungsfreie Verdauung – insbesondere bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten und nach fettem Essen! Rosmarin vermag das Essen zu yangisieren und kann zu kalten Speisen wie Tofu oder Quark zum Ausgleich beigefügt werden.
Bekannt ist diese Pflanze als Kreislaufmittel. Sie erhöht den Blutdruck und steigert dadurch die Konzentration.
Rosmarin ist eine kräftig wirkende Pflanze, wärmt und bewegt die Energien und das Blut. Deshalb soll sie während der Schwangerschaft nicht eingenommen werden. Auch für Menschen mit Anzeichen von Hitze ist sie kontraindiziert. Rosmarin hat mehr Yang als Petersilie und ist deshalb geeigneter, wenn ein Qi-Mangel „der Blutstase durch Verausgabung“ zugrundeliegt.
Die leicht warme Petersilie (Petroselinum crispum) und insbesondere ihre Wurzel waren schon unseren Großmüttern bekannt: Wenn es draußen noch kalt war und die regionalen Vitamine fehlten, zogen sie drinnen auf der Fensterbank Kresse und Petersilie. Die beiden Pflanzen schließen diese Versorgungslücke durch ihren hohen Gehalt an Vitamin C, das für die Eisenaufnahme im Körper wichtig ist. Dabei gehe ich von ihrem Gebrauch als Nahrungsmittel in der bei uns üblichen Menge aus. Denn da Vitamin C das Blut verflüssigt, wirkt Petersilie so stark menstruationsfördernd, dass sie für Schwangere kontraindiziert ist. Die weisen Frauen verabreichten sie bei ungewollter ausbleibender Menstruation sowohl innerlich als starken Tee aus den Blättern als auch in die Vagina eingebracht als frischer Pflanzenbrei. Diese Vorgehensweise wird heute als Risiko eingeschätzt, zeigt aber die stagnationsauflösenden Kräfte der Petersilie.
Durch ihre zusammenziehende Wirkung stoppt sie den Milchfluss und ist somit für stillende Frauen kontraproduktiv.
Bei Blutstase unterstützt die Petersilie auf dreifache Weise:
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Sie intensiviert den Energiefluss und reguliert das Qi der Mitte;
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Sie baut das Blut und Leber-Yin auf;
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Sie fördert das Lösen von Wasseransammlungen und Schlacken im Körper;
Wenn wir uns eingerostet fühlen, kann es sein, dass durch Dehnungsübungen und Energie bewegende Kräuter wieder mehr Schwung in unser Leben kommt. Sowie das Blut Bewegung braucht, braucht die Bewegung das Blut.
Wenig Bewegung an der frischen Luft, viel süßes und fettes Essen und wenig Gemüse führen schnell zu einem Blutmangel. Gerade das Blut gibt uns die Kraft, unsere Wünsche nicht im luftleeren Raum verfliegen zu lassen, sondern auf festen Boden zu stellen.
Körperlich zeigt sich ein Leber-Blut-Mangel an Haarausfall, Amenörrhoe, Schwindelgefühlen und Kopfschmerzen. Diesem Zustand kann recht einfach Abhilfe geschaffen werden: Eine gute Handvoll Petersilie am Ende des Kochvorgangs hinzugefügt wirkt anregend und nährend für die Blutbildung.
Petersilie hilft auch beim Lösen von angesetzten Pölsterchen, Schlacken werden herausgespült. Menschen mit Nierenproblemen sollten diese Pflanze hochdosiert nur in Absprache verwenden.
Die TCM verwendet die Wurzel der Petersilie. Diese wird frisch oder getrocknet in kleinen Stücken geschnitten mit kochendem Wasser übergossen und mindestens 15 Minuten lang auf kleinster Flamme gekocht.
Die Petersilienwurzel hat einen zusätzlichen Erdbezug und tonisiert die Milz. Deshalb baut sie noch stärker als das Petersilienkraut das Blut auf. Sie ist optimal geeignet, wenn „Holz die Erde attackiert“ (wie es in der CM heißt). Stellen Sie sich einen mächtigen Baum vor, der auf einer kargen Erde wurzelt. Mit dem Wachstum des Baumes wird die Erde immer zerfurchter und letztendlich wird irgendwann auch der Baum wackeln. Bei Menschen äußert sich dies in Migräne mit Übelkeit oder stressbedingten Magenschmerzen.
Es empfiehlt sich, die Petersilie sowie deren Wurzel als festen Bestandteil der Küche einzubauen und sich einen getrockneten Wurzelvorrat anzulegen – wie es so manche Großmutter tat …
Akupunktur und Moxa
Akupunktur löst insbesondere auf der Qi-Ebene und somit über die Beziehung Blut-Qi auch bei Blutstase. Bei lokalen Blutstasen ist sie sehr hilfreich. Adjudativ braucht es für die generelle Blutstase immer Arzneimittel, gerade bei einer zugrundeliegenden Leere. In diesem Fall – wie es bei der Blutstase durch Verausgabung ja der Fall ist – kann Moxa indiziert sein, wenn keine Hitze sich entwickelt haben sollte.
Neben der Kombination von Bl 17, Mi 10 und Bl 43 zum Bewegen des Blutes und zur Blutbildung eignen sich bei der Blutstase durch Verausgabung Punkte, die uns wieder zu uns selber bringen, unsere Po-Seele stärken. „Raus aus der Überanstrengung – wir sind so in Ordnung, wie wir sind“ – diese Selbstwahrnehmung kann durch Lu 8 gefördert werden. Der Punkt bewirkt ein tiefes Loslassen, damit dann ein Neuanfang möglich werden kann (4).
Für die Blutbildung kann Mi 6 genadelt ev. gemoxt werden. Mi 6 kann aber noch mehr, da er die Energien von Milz, Leber und Niere vereinigt. Er bewegt bei Yin-Stagnation (Feuchtigkeit) und nährt bei Yin-Mangel.
Für bestehende Schmerzen bieten sich Leber-und Gallenblasenpunkte sowie die lokale Nadelung von Ashi-Punkten an. Gerade Le 3 entspannt emotional und nährt auch das Leber-Blut.
Durch die eintretende Entspannung bei Akupunktur kann ein Mensch mit Blutstase aus dem Teufelskreis von Anspannung- Schmerz – noch mehr Anspannung ausbrechen: Es kann wieder alles besser werden…. auch wenn es Zeit und Veränderungen braucht.
Haltung
Einige Menschen haben Bewegung als die neue Diät entdeckt. Der Körper wird wieder in eine vorgegebene Struktur gepresst. Nicht die individuellen Bedürfnisse und Hinlänglichkeiten des Körpers – und der Seele – zählen, sondern die Bewegung nach Plan. Es finden sich darin Momente der Magersucht: Der Körper mit seinen Bedürfnissen soll kontrolliert werden, daraus speist sich Selbstvertrauen. Der Körper ist dann nicht mehr unser friedlichster Ort, der materielle Sitz unserer Seele, sondern wir müssen ihn und seine (Ge-)lüste bekämpfen und überwinden. Und oh weh, wenn er sich mit Schmerzen meldet und nicht mehr rund läuft.
In einem Interview mit dem Homöopathen Jürgen Becker fand ich dazu folgende Aussage: „Es sind nicht die Schwierigkeiten, die uns krankmachen, sondern die verdrängten Schwierigkeiten“ (5).
Würde in diesem Zusammenhang bedeuten: Warum gehe ich so über meine körperlichen Grenzen, dass es zu Schmerzen kommt? Was ist meine Motivation dahinter? Welchem Bedürfnis folge ich?
Ohne diese Fragen mir zu stellen, kann ich wohl mit entsprechenden Kräuterrezepturen, Akupunktur und Bewegung, gesunden, werde aber immer wieder ähnliche Symptomatiken entwickeln. Chinesische Medizin fragt nach der Wurzel des Geschehens und da kommen wir bei uns an, unseren tiefsten Wünschen, Sehnsüchten und Schattenseiten.
Ist es die Angst, mit anderen nicht mithalten zu können, die uns antreibt? Brauchen wir die Bestätigung in Form von gelaufenen Kilometern, um unseren Körper liebenswert zu finden?
Auf Entspannung folgt Anspannung und dann wieder Entspannung. Feste Trainingspläne sollten immer mit dem Bauchgefühl abgeglichen werden.
Ich wünsche Ihnen ein bewegtes, frohes Leben mit einem Wachsen und sich Hinauslösen aus stagnierten Bereichen – alles Gute!
(1)Wer sich in das Thema der Blutstase vertiefen möchte, dem möchte ich das wunderbare Werk von Gunter R.Neeb „Das Blutstasesyndrom“ (2001) ans Herz legen.
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siehe dazu den Artikel von Birch,St.: „Bluts-Stase in der Japanischen Akupunktur“ in Qi. Zeitschrift für Chinesische Medizin. 02/2013.S. 6-13.
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Weinraute habe ich im Yin Yang TCM Fachmagazin Nr.3/ 2018 bereits kurz beschrieben.
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Müller, J.-V. (2004): Den Geist verwurzeln.Band 1.Verlag Müller & Steinicke.München.
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www.zeitpunkt.ch/fileadmin/download/ZP_97/97_12-13_Becker.pdf
Dieser Artikel von mir erschien zuerst im YIN Yang TCM Fachmagazin Nr.4 Dezember 2018.