Das Prinzip von Yin und Yang

In allen Teilen und Lebewesen des Kosmos hat die chinesische Medizin die sich bedingenden Kräfte Yin und Yang für sich wiedererkannt. Ich verwende nicht den Begriff „Polaritäten“, da sich in jedem Yin auch ein Anteil Yang befindet, ebenso wie in jedem Yang ein Anteil Yin. Ein reiner Yang-Zustand bedeutet ebenso den Tod wie ein reiner Yin-Zustand. Jedes Yang wandelt sich zum Yin und jedes Yin zum Yang. Dieser Prozess findet beständig statt. Entscheidend ist der Energiefluss zwischen beiden, den die Methoden der TCM unterstützen.

Jeder Yang-Aspekt kann wiederum in einen Yin- und einen Yang-Aspekt unterteilt werden und umgekehrt. Jeder noch so feine Yang-Aspekt beinhaltet gleichzeitig auch immer einen noch feineren Yin-Anteil.

Im menschlichen Körper befindet sich die meiste Energie immer abwechselnd in zwei Yin- und dann in zwei Yang-Meridianen. Diesen Energiefluss kann man in der sogenannten Organuhr ablesen. Der Wechsel passiert gleitend alle zwei Stunden: Beispielsweise ist die meiste Energie von 3 bis 5 Uhr in der Lunge, dann von 5 bis 7 Uhr im Dickdarm. Erkrankungen in einem bestimmten Organ treten ausgeprägter in der Zeit gemäß der Organuhr auf. Zudem hat jedes Organ noch seinen eigenen Yin-Yang-Rhythmus. Bei der Gebärmutter braucht der Wechsel beispielsweise ungefähr einen Monat.

Die beiden Kategorien Yin und Yang können nicht übersetzt werden, da es in der deutschen Sprache keine Entsprechungen gibt. Deshalb werden Yin und Yang im Folgenden durch ihre Qualitäten charakterisiert:

Yin umfasst die Materie und die Substanz, die Struktur, die Nacht, die Ruhe und die Kälte.

Yin ist alle Substanz und setzt sich im Menschen aus Flüssigkeiten, Blut, Nähr- und Abfallstoffen zusammen. Yin ist auch kompakt. Die festen Substanzen gehören ebenfalls zum Yin: die Knochen, die Muskeln, die Sehnen, Haare und die Haut. Wenn Erkrankungen an die Substanz von Organen gehen, ist immer das Yin beteiligt. Beispielsweise kann ein stechender Schmerz im Magen durch zu scharfes Essen (Yang) hervorgerufen werden und einen akuten Yang-Überschuss im Magen (empor loderndes Magen-Feuer) bewirken. Wenn die Beschwerden jedoch anhalten und die Magenschleimhaut angegriffen ist, wurde das Magen-Yin verletzt.

Auch Erkrankungen, die mit der Bildung von vermehrter Substanz wie Tumore, Zysten oder Ödeme einhergehen, haben Yin-Charakter.

Ausdruck von Yin ist das Blut. Ein Mangel an Blut kann sich in den Organen Herz, Milz, Lunge und Leber mit jeweils spezifischen Symptomen äußern (siehe Bluttonika).

Yin ist kalt. Kälte kann als Körpertemperatur wahrgenommen werden. Kälte deutet auf einen Mangel an Yang und somit einen (relativen) Yin-Überschuss oder auf einen Blutmangel hin. Kühlende Heilpflanzen sind wichtig, um Hitze im Körper zu kühlen und Entzündungsprozesse abzubauen.

Yin ist passiv, Yin ist die Ruhe. Yin-Beschwerden sind an einer Stelle fixiert und verschwinden nicht so schnell. Yin-Beschwerden treten verstärkt in der Ruhe auf und verschlechtern sich durch diese. Bei einem Yin-Mangel fällt es schwer in die – ersehnte – Ruhe zu kommen. In der Ruhe aber erst kann sich das Yin regenerieren. Diese Problematik findet sich häufig bei ADHS.

Yin ist feucht. Das Wasser zählt zum Yin. Die dünnen Flüssigkeiten zählen zum Yin. Wenn Yin im Mangel ist, besteht im Körper Trockenheit, die sich zum Beispiel an der Haut, den Haaren oder den Schleimhäuten zeigen kann.

Feuchtigkeit entsteht im Körper durch einen Mangel an Yang (siehe „Die Milz liebt es warm und trocken“).

Yin ist absteigend. Kälte und Nässe haben die Tendenz, nach unten zu sinken. Klassisch sind kalte Füße und Ausfluss ein Zeichen von Yang-Mangel.

Yin ist langsam. Schon durch seine Kompaktheit ist Yin schwerer, träger und somit immer relativ langsamer als Yang. Dies ist in bei Heilungsverläufen zu beachten. Viele yin-tonisierende Heilpflanzen wie Baldrian, Johanniskraut und Rotklee benötigen auch eine längere kontinuierliche Einnahmedauer, bis sie ihr Wirkungsoptimum erreichen.

Yin ist zentrierend, zusammenziehend. Die Yin-Energien richten sich nach innen. Beim Schlafen schließen wir die Augen. Haben wir einen Yin-Mangel blicken wir unruhig durch die Gegend, die Konzentration fällt uns schwer. Bei einem Überschuss von Yin beispielsweise in den Lungen hat sich dort zu viel Schleim angesammelt, der nicht abgehustet werden kann.

Yin ist im menschlichen Körper die Vorderseite, im Inneren und die untere Körperhälfte. Pilze nur im unteren Körperbereich haben mehr Yin-Qualität. Je tiefer ein Husten, desto mehr Yin-Bezug hat er (siehe „6-Schichten“).

Yin ist Ernährung. Versorgungsaspekte der materiellen Art gehören zum Yin.

Zum Yin gehört die Gebärmutter. Wobei diese wieder in einen Yin- und Yang-Aspekt zu unterteilen ist s.o.. Da Frauen eine Gebärmutter haben, besitzen sie meistens mehr Yin als Männer. Dies ist heute sehr relativ zu sehen. Durch einen yang-betonten Lebenswandel kann sich dieser relative Yin-Überschuss auch kaum mehr bemerkbar machen. Ebenso können Männer ihr relatives Yin-Defizit durch ein yin-betontes Leben ausgleichen. Dies passiert durch die allgemeine Yangisierung der Gesellschaft leider eher selten (siehe „Wie schnell läuft die Zeit?“). Männer, die sich den Versorgungsaspekten des Lebens mehr widmen, können ihr Yin stärken. Warum dies wieder rum Potenz steigernd sein kann, erkläre ich in dem Kapitel über ungewollte Kinderlosigkeit und Sexualität (siehe „Ihr Kinderlein kommet“ und „Pflanzen der Liebe“).

Yin ist nachts. Alle Symptome, die sich nachts zeigen oder verschlechtern haben einen Yin-Bezug – entweder einen Yin-Mangel oder einen Yin-Überschuss. Zuviel Schleim in den Lungen ist eine Yin-Fülle und führt oft zum Abhusten nachts. Wenn das Yang morgens ansteigt, kommt die zweite Welle des Abhustens. Das Lungen-Yang kann den Schleim nach außen befördern.

Das Syndrom der unruhigen Beine („Restless legs“) verschlechtert sich in Ruhe und sind Ausdruck eines Yin-Mangels meistens auf der Blutebene. Nachtarbeit (vor allem im Schichtdienst) kann langfristig die Yin-Reserven erschöpfen. Nachts im Yin bauen sich die Kräfte für den Tag auf.

Nun zu den Qualitäten von Yang:

Yang umfasst die Bewegung und die Funktion, den Tag, die Sonne, die Aktion und die Wärme.

Yang ist Funktion. Wenn Yin der Schweiß ist, dann ist Yang das Schwitzen. Das Menstruationsblut ist Yin, das Bluten ist Yang. Das Wasser im Körper ist Yin, die Wasserverteilung Yang.

Ausdruck von Yang ist das Qi. Ein Mangel an Qi kann sich in den Organen Niere, Blase, Gallenblase, Herz, Dünndarm, Milz, Magen, Lunge und Dickdarm mit jeweils spezifischen Symptomen äußern

Yang ist hohl. Im Bild von Yin und Yang, sind die festen Substanzen Yin und die Hohlräume, die Räume der Möglichkeiten Yang. Aber auch hier ist Verwandlung: die Gebärmutter als Muskel ist Yin, der Freiraum Yang. Bei einer Schwangerschaft wird der Freiraum immer mehr mit dem Baby (Yin) gefüllt. Bei der Geburt ist der kontraktierende Muskel Yang und das Baby als Körper Yin.

Yang ist warm. Hitzegefühle deuten auf eine (relative) Yang-Dominanz hin. Es gibt auch eine sogenannte Leere-Hitze, die auf einen Yin-Mangel zurück zu führen ist (siehe Lavendel).

Durch viel Bewegung nimmt die Wärme, das Yang im Körper zu. Die Backen werden gerötet und zeigen die bessere Durchblutung (Yang ist Zirkulation) an.

Yang ist aktiv. Yang ist Bewegung. Auch gerade im gesellschaftlichen Bereich erfährt das Yang eine große Wertschätzung: Handeln anstatt Warten; eher im Fitness-Studio als auf der Coach und viel Reden (am besten mit dem Smartphone) anstatt Zuhören und dabei Schweigen.

Ohne Yang würden wir zweifelsohne nur an Heilkräuter denken, ohne aufzustehen und einen Tee zu kochen. Yang ist es auch nachts aus dem Schlaf gerissen ein weinendes Kind durch die Wohnung zu tragen auf Kosten des eigenen Yin.

Yang ist trocken. Wärme trocknet. Trockene, rissige Haut verweist auf einen (relativen)Yang-Überschuss. Trockener Reizhusten durch Rauchen ist Ausdruck eines (relativen) Yin-Mangels der Lungen, wobei das Lungen-Qi langfristig in beiden Aspekten geschwächt wird.

Yang ist aufsteigend. Auch Wärme hat eine aufsteigende Richtung. So findet sich bei Yang-betonten Prozessen im Körper auch eine aufsteigende Tendenz bzw. die Zustände befinden sich oberhalb des Bauchnabels, der die Grenze zwischen oben und unten darstellt.

Yang ist zerstreuend. Die Energien von Yang richten sich nach außen. Der kleine Flirt in der Straßenbahn hat Yang-Charakter ebenso wie ein kräftiges Niesen, das angesammeltes Yin endlich nach außen befördern kann. Scharfe Nahrungsmittel verfügen über relativ mehr Yang wie süße Speisen.

Yang ist schnell. Dies ist auch an der vergleichsweisen schnellen Abhilfe durch stark yang-haltige Heilpflanzen wie Ingwer und Thymian bemerkbar. Bei einem akuten Befall von Wind-Kälte können diese beiden Pflanzen ein tieferes Sinken der Pathogenen verhindern (siehe „6 Schichten“).

Yang ist der Rücken, die Oberfläche und die obere Körperhälfte. Deshalb hat ein allergisches Hautekzem mehr Yang-Qualität als ein allergisches Asthma.

Yang ist Abwehr-Energie. Yang ist eine feine, leichte Schicht von Energie, die uns umgibt, um pathogene Faktoren abzuwehren. Sie ist immateriell und wird von dem Lungen-Yang um den Körper verteilt. Wenn das Immunsystem geschwächt ist, kann eine Stärkung des Lungen-Yang helfen (siehe Engelwurz, Alant, Anis).

Zentral ist das Zusammenspiel von Yin und Yang.

Yin und Yang können nur gemeinsam agieren. Sie begrenzen und kontrollieren sich, bringen sich gegenseitig hervor und gleichen sich aus und verwandeln sich ständig ineinander. Wenn wir erkranken, liegt immer auch in diesem Gleichgewicht der Hase begraben:

Handeln (Yang) ohne Kontemplation (Yin) bringt keinen Erfolg, sondern rote Augen und Erschöpfung (Zeichen von überschießendem Yang).

Nahrung (Yin) ohne Verdauungsbewegungen (Yang) führt zur Nahrungsstagnation (Yin-Fülle).

Heilpflanzen und auch Nahrungsmittel sind nach ihrem Gehalt an Yin und Yang einzuordnen. Eine stark erwärmende Pflanze hat Yang-Gehalt wie beispielsweise Ingwer oder Wacholderbeeren. Eine Pflanze, die den Schlaf fördert, besitzt eindeutige Yin-Qualitäten wie beispielsweise Melisse oder Hopfen. Bei der Zusammenstellung von Kräuterrezepturen wird darauf geachtet, dass die Mischung genau dem individuellen Bedürfnis der KlientIn hinsichtlich Yin und Yang entspricht.

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